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aus dem Schwarzwälder Boten vom 10.12.2007
Die Reifeprüfung mit Bravour bestanden
Nagolder Kantor setzt in der Stadtkirche mit Mendelssohns 'Paulus' ein musikalisches Ausrufezeichen


Nagold. Es gib Werke, die sind wirkliche Prüfungen. Die von den Sängern eines Chores und ihrem Dirigenten sehr viel verlangen, musikalisch wie technisch. Dass der 'Paulus' von Felix Mendelssohn-Bartholdy ein solches Werk ist, das konnten die Zuhörer des Konzerts der Nagolder Kantorei in der nicht ganz voll besetzten Nagolder Stadtkirche erleben. Sie erlebten aber auch, dass ein Chor seine Reife zeigen und eine solche Prüfung bestehen kann - und das mit Bravour.
Schon die Titelfigur des Paulus ist mit seinem Leben und Wirken wohl mit die extremste und komplexeste, die die christliche Kultur vorzuweisen hat. Ähnlich komplex ist denn auch fast folgerichtig das nach ihm benannte Oratorium von Mendelssohn, das nicht nur musikhistorisch, sondern auch musikalisch eine Brückenfunktion zwischen zwei Welten ausfüllt. So trägt der 'Paulus' viel barocke Musikkultur in sich, an so manchen Stellen schimmert in dem Werk aus dem 19. Jahrhundert der Einfluss des großen Johann Sebastian Bach durch. An anderen Stellen wiederum weist der 'Paulus' in seiner Dramatik, seiner Opulenz, seinen großen Emotionen schon auf die großen geistlichen Werke der Hoch- und Spätromantik voraus, scheinen Anton Bruckner und Giuseppe Verdi am musikalischen Horizont aufzutauchen. Nicht umsonst gilt der 'Paulus' als das Werk, das die Renaissance des geistlichen Oratoriums im 19. Jahrhundert begründete.
Eine große Herausforderung also, doch die Nagolder Kantorei und ihr musikalischer Leiter Stefan Skobowsky stellten sich gemeinsam mit den Solisten Jeannette Bühler (Sopran), Alexander Yudenkov (Tenor) und Markus Flaig (Bass) und der Baden-Badener Philharmonie dieser Herausforderung. Mit Erfolg. Sie alle setzten mit diesem Abend ein eindrückliches musikalisches Ausrufezeichen. Ob nun ein Choral im Stile Bachs oder die musikalisch wie technisch komplexen romantischen Chöre - das, was Skobowsky mit seinem Chor erarbeitet hatte, kann getrost als wahrhaft reife Leistung bezeichnet werden. Dynamisch wie vom Tempo her blieb der Chor stets auf intelligente Weise im Zentrum der Musik und ihrer Aussage und offenbarte dabei technisch souverän das große Spektrum der Klangfarben, das bei einem Werk wie diesem vonnöten ist.
Die, wenn man sie so bezeichnen will, Titelrolle des Oratoriums füllte ein in Nagold beinahe schon alter Bekannter aus: der Bassist Markus Flaig. Seine ebenso mitreißende wie stimmige Interpretation des Paulus strotzte nur so vor paulus-typischer Energie und Inbrunst, so etwa bei der Arie 'Vertilge sie, Herr Zebaoth' im ersten Teil des Oratoriums.
Beeindruckend waren dabei nicht nur Flaigs Solopartien, auch in den wunderschön komponierten Duetten mit dem feinen, beinahe schon lyrischen Tenor des Alexander Yudenkov harmonierten die Stimmen trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere vortrefflich. Strahlende und sensible Höhepunkte setzte eine weitere in Nagold bestens bekannte Stimme: der Sopran der Jeannette Bühler. Mendelssohn hat der einzigen weiblichen Solostimme den Part zugeteilt, den in den großen Werken von Bach der Tenor übernimmt: den des Erzählers, beziehungsweise der Erzählerin. Doch nicht nur darin, sondern auch in den wenigen Arien zeigte die - wie die beiden anderen Solisten - international agierende Bühler die strahlende Schönheit ihres Soprans, so etwa beim anrührenden Arioso 'Lasst uns singen von der Gnade des Herrn' im zweiten Teil des Oratoriums.
Die Orchester-Wahl des musikalischen Leiters Stefan Skobowsky fiel dieses Mal auf die Baden-Badener Philharmonie. Eine Wahl, die er wahrlich nicht bereuen musste, offenbarten sich die Baden-Badener mit ihrem feinen Spiel für die anderen Musiker doch als reifer, stilsicherer und einfühlsamer Partner. Langanhaltender Applaus belohnte nach fast drei Stunden 'Paulus' die Musiker für diese mit Bravour gemeisterte Reifeprüfung.

Sebastian Bernklau

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