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Kritik von Werner Zintgraf zum Konzert mit Schuberts As-Dur-Messe am 26.11.1988
Ein Fest schöner Stimmen und Chorharmonien
Franz Schuberts As-Dur-Messe und eine Bachkantate in Nagolds Stadtkirche aufgeführt

Nagold. Warum wohl der Kantor ein »Oratorium-Konzert« ankündigte? Weder die Kantate, noch die Messe ist der historisch gewachsenen Form »Oratorium« zuzurechnen, weil ihnen, vereinfacht gesagt, keine dramatischen Handlungen einer biblischen Erzählung zugrunde liegen. Doch hier gehts nicht um Klärung von Gattungsbegriffen, sondern um die Spiegelung eines Konzertereignisses, das am Samstag an die 600 Besucher in die Stadtkirche zog. Mit der Nagolder Erstaufführung von Franz Schuberts Messe in As-Dur setzte nämlich Ingo Bredenbach wieder ein Glanzlicht in das hiesige Konzertleben.
Dazu verhalf ihm vor allem der 80köpfige Kantorei-Chor, bestens vorbereitet für diese Aufgabe; dazu verhalf ihm die »Sinfonietta Tübingen« mit sieben Holzbläsern, drei Posaunen, Horn, Pauken und 19 Streichern; dazu verhalfen ihm vier ausgezeichnete Vokalsolisten mit Susanne Leitz, Frauke Bethge, Sibrand Basa und dem quasi in letzter Minute eingesprungenen Bassist (vom Südfunk-Chor) Achim Jäckel, nachdem Anselm Richter wegen Erkrankung nicht antreten konnte.
Außerdem überreichte der Kantor den Konzertbesuchern noch ein 30-seitiges informatives Programmheft und offerierte erneut, wie gründlich er sich mit musikwissenschaftlichen Fragen/Publikationen befasst. Ein Kompliment - auch wenn sich die Konzertbesucher erst hinterher damit befassen können und hoffentlich auch werden ! Nachzutragen wäre lediglich, dass Bredenbach nur die sechs lateinischen Messen Schuberts erwähnte, nicht aber jene »Deutsche Messe«, welche durch die gesamten deutschsprachigen Männerchöre zur populärsten geworden ist. - Nach Ingo Bredenbachs eindruckstiefer Interpretation dieser herrlichen, in so vielen Farben aufblühenden Musik, darf man wohl die Frage stellen, warum Schuberts große Mess-Kompositionen immer noch selten aufgeführt werden. Keiner vor ihm (und nach ihm erst wieder sein verdienstvoller "Propagandist" Franz Liszt) hat die sechs Messeteile in so unterschiedlichen Tonartfolgen (As - E - C - F - As - f) gewagt. Sowohl innerhalb der Teile als auch in deren Reihenfolge dominierte das Modulationsprinzip der »neapolitanischen Sexte«, was eben diesen farbigen Kontrastreichtum auslöste. Schuberts wegweisende Vorliebe für Chorgattungen aller Art werden dabei zum unüberhörbaren Fundament. Das Solistenquartett sorgt für eine innige Korrespondenz.
Nach der eher verhaltenen Bitte im »Kyrie eleison« setzte Bredenbach dann im »Gloria« erste kraftvoll-jubelnde Akzente, wobei Schuberts Textdeutungen hinsichtlich der Abschnitte »Laudamus te« oder am Schluss von »Quoniam tu solus sanctus« eigentlich einer Psycho-Studie bedürften. Das »Credo« gehört sozusagen dem achtstimmig aufgefächerten Chor und Orchester, besonders dessen Holz- und Blechbläsern. Die eingeflochtenen Unisonogesänge (Responsorien/Antiphonen) könnten in der Wiedergabe vielleicht noch deutlichere Akzente erhalten.
»Sanctus« erster Teil wieder für Chor, zweiter Teil »Benedictus« für die Solisten. Und was für reizvolle instrumentale Rahmungen! Die eher düstere Stimmung in f-Moll beim »Agnus dei« im Wechsel von Chor und Soli hellte sich dann im kraftvollen »dona nobis pacem« zum jubelnden (hoffnungstrügerischen) Finale auf.
Vielleicht war es eine Konzession »ohne Bach geht nichts bei uns«, dass Ingo Bredenbach der Schubert-Messe die nicht gerade ergiebige Adventskantate »Schwingt freudig euch empor« voranstellte? Den zaghaften Chorus-Auftakt können wir schnell vergessen nach den glänzenden Leistungen hernach, die zwei Choräle gelangen sehr schön. Die instrumentalen Begleiter mit Solovioline, Englischhorn, Fagott und Continuo (an der Truhenorgel Markus Raiser) seien vorab lobend erwähnt.
Susanne Leitz (Stuttgart) erwies sich als eine noch ausbaufähige, intonationssichere Sopranistin. Frauke Bethge (Südfunkchor) überraschte, auch in den tiefern Lagen, durch ein sonores Resonanzvolumen. Sibrand Basa, dessen schlanke und dennoch fülligtragende Tenorstimme wir schon mehrfach bewundern konnten, verblüffte mit einer musikantischen Transposition der Bariton-Arie »Willkommen, werter Schatz«. Welcher »Star-Tenor« würde sich auf ein solches Wagnis einlassen? Dieser Sibrand Basa ist ein tenorales Phänomen!
Ingo Bredenbach bleibt letztendlich zu danken für dieses herausragende Konzert, für seine dirigentische Gestaltungsfähigkeit, für die Auswahl der Solisten und Hinzuziehung der in jeder Phase engagiert mitziehenden »Sinfonietta Tübingen«. Alles in allem: Ein Fest schöner Stimmen, chorischer Harmonien und sie engagiert unterstützender Instrumentalisten. Der nach einer Schweigeminute spontan ausbrechende Beifall war hochverdient.

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