Home

Archiv Konzerte Archiv Chorreisen Verschiedenes

Kritik von Georg Dlugosch zum Konzert am 16.November 1983
"Ein feste Burg ist unser Gott..."
Konzert zum Buß- und Bettag - Eindrucksvoller Johann Sebastian Bach

Nagold. Das protestantische Trost- und Trutzlied "Ein feste Burg ist unser Gott", das man nach den Siegen über die Katholiken, aber auch in Not und Bedrängnis sang, gehört zu den eindrucksvollsten Kantaten des protestantischen Komponisten Johann Sebastian Bach. Unverkennbar bricht sich das strahlende Motiv auch in den zerfahren wirkenden und zagenden Momenten mit Hilfe der Blechbläser immer wieder Bahn - wird zum Leitthema, das die Verstreuten und Verzagten zurück auf den rechten Weg holt.
In der Interpretation der evangelischen Kantorei Nagold siegte über das mögliche, dicke Pathos eine eher "ökumenische", weniger pathetische Fassung der Kantate. In der evangelischen Stadtkirche brachte das Konzert zum Buß- und Bettag im Lutherjahr unter der hervorragenden Leitung von Gerhard Kaufmann die beiden Kantaten "Aus tiefer Not schrei ich zu dir" und "Ein feste Burg ist unser Gott" zur Aufführung. Beide Kantaten stellten den würdigen Rahmen für die Uraufführung eines geglückten Orchesterkonzerts von Gerhard Kaufmann, das die mittelalterliche Antiphon "Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen" in einer modernen, zeitnahen Fassung mit neuem Leben erfüllte.
Das "Junge Kammerensemble Baden Württemberg" zeigte sich mit einer geradlinigen, klaren Bach-Interpretation als adäquate Begleitung für den Chor und die Solisten.
Dennoch hätte man sich manche Spannungen besser verdeutlicht gewünscht, ein wenig mehr Espressivo hätte die Darbietung noch ausdrucksvoller gestalten können.
Mit viel Engagement ließ der Chor den voll tiefer Empfindung gestalteten Eingangschoral "Aus tiefer Not" in Erscheinung treten. Die polyphonen Linien waren gut erkennbar und auch die Synkopen, das wackelnde Weltbild aus Verzweiflung und Weltuntergangsstimmung, meisterte der Chor hervorragend. Majestätischer und wuchtiger hätte man den Schlußchoral "Ob bei uns der Sündern viel" darbieten können, um so die Abrundung und Erlösung der eine unendliche Empfindungsskala durchlaufenden Kantate von höchster Ergebenheit und tiefster Zerrissenheit noch stärker hervorzuheben.
Die Kantate "Ein feste Burg" zeichnete sich durch ein gutes Zusammenwirken der chorischen Stimmen aus. Saubere Intonation verwirklichte den ursprünglichen Sinn der auf Festigkeit und Zusammengehörigkeit angelegten Kantate. Einer Siegesfanfare gleich erscheint auch an den Stellen, die dem "bösen Widersacher" gewidmet sind, immer wieder das blitzende und alles übertreffende Blechbläser-Motiv. Ohne Schwächen, doch auch ohne die besonderen Höhepunkte sang der Chor mit viel Verve die Unisono-Stellen als Gegenpart zu den abwechselnden Solo-Gesangsteilen.
Die unendliche Vielfalt von Schmerz, Angst, Zwielicht und Zweifel, von gläubiger Hoffnung und Gottvertrauen bricht sich Bahn in den beiden Kantaten, findet ihren Ausdruck in dem großen Formenreichtum, unterstrichen durch die Teile der Solisten. Von Roswitha Sicca-Groß aus Karlsruhe erklangen die Sopran-Partien in hellem, reinem Timbre. Sie nahm mit brillanten Koloraturen den Hörer gefangen, überzeugte durch eine glänzende Aussprache. In der Nuancierung wirkte sie sicher bis in die leisen und empfindungsgeladenen Töne hinein. Mit inniger Ausdruckswärme sang Annetraud Flitz aus Knittlingen die Alt-Partie. Ihre umhüllte Stimmlage kam in den Rezitativ-Teilen zu besonderer Geltung.
Den Tenor-Part meisterte Alwin Niclas aus Ansbach mit seiner prächtigen Stimme. Sowohl Arie als auch Rezitativ erklangen mit allen Nuancen und natürlichem, niemals überzogenem Ausdruck. Manfred Strohecker aus Nagold-Mindersbach, der die Baß-Partie sang, zeigte sich in der ersten Arie zu oberflächlich, verbesserte sich aber in dem folgenden Rezitativ zu einer anspruchsvollen Leistung. Rudolf Schmid aus Nagold zeichnete sich an der Orgel durch eine einfühlsame Registratur und exaktes Spiel aus.
Das sprechende, spannungs- und lösungsreiche, erfüllte Pathos von Bachs Kantaten erhielt seine zeitgemäße Fortsetzung in dem Orchesterwerk von Gerhard Kaufmann über die mittelalterliche Antiphon "Mitten wir im Leben sind". Kontrastreich und mit ansprechenden Themenvarianten war in der traditionellen Sonatenhauptsatzform eine lebendige Meditation zu hören (siehe auch Feuilleton).


Orchesterwerk von Kaufmann in Nagold uraufgeführt
Ein zeitgenössisches Orchesterwerk von Gerhard Kaufmann aus Nagold erlebte seine Uraufführung in der evangelischen Stadtkirche Nagold. Kaufmann dirigierte selbst seine Verarbeitung der mittelalterlichen Antiphon "Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen". Das dreisätzige Werk, dessen musikalischer Inhalt sich treffend in der Sonatenhauptsatzform findet, erhält sein Grundthema aus dem Wort "Leben". Ein kontrastreicher erster Satz arbeitet mit fanfarenartigen Bläsern, die im ständigen Wechsel mit der Streichergruppe stehen. Der zweite Satz als Besinnung auf den Tod erzeugte mit seinen Spannungen deutlich den schmerzlichen Affekt. Das neue, vielleicht gewandelte Leben im dritten Satz, symbolisiert durch das Bläserthema, zeichnet sich durch viele rhythmische Betonungen aus und läßt mit seinem rasenden Tempo an die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit in seiner plastischen Ausführung denken.

Home

Archiv Konzerte Archiv Chorreisen Verschiedenes