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Bericht über die Chorreise 1994 nach Friedrichroda
Zugang zu den Herzen finden
Begegnung in Thüringen : Kantorei als Botschafter des Evangeliums
von Alfred Bott
Nagold/Friedrichroda. Wenn die großen Ferien beginnen, begibt
sich die Kantorei auf ihre nun zur Tradition gewordene Konzertreise. Zum
drittenmal seit der Wende zog es Ingo Bredenbach und seine Choristen in
die neuen Bundesländer.
Was hat sich in der Partnerstadt Friedrichroda, 1990 schon einmal besucht,
in vier Jahren verändert ?, fragten sich viele. Es gibt eine Menge
Baustellen, Umleitungen des Verkehrs zeigen an, dass Kanalisationen erneuert
und Kabel verlegt werden. Überall wird erneuert, verschönert
und funktionsgerecht umgebaut. Aber viel ist noch zu tun. Und die Menschen
? Es gab viele Gespräche, die einerseits Skepsis und Enttäuschung
spüren ließen, dann aber doch zeigten, dass gehofft wird, dass
sich neue Perspektiven auftun und dass die Einheit auch innerlich erfolgt,
dass Zufriedenheit und Lebensmut einkehren.
Die Gäste aus Nagold erkannten, dass jeder Besuch, dass die Pflege
bereits geknüpfter Beziehungen und neue Bindungen diese Hoffnungen
nähren. Besonders in Friedrichroda, der wunderschön gelegenen
Stadt im Thüringer Wald, wird Ausschau gehalten nach Besuchern aus
dem Westen, die den stark zurückgegangenen Fremdenverkehr beleben.
Draußen in Reinhardsbrunn, dem 1992 von der Evangelischen Landeskirche
Thüringen erworbenen Areal, waren die Choristen untergebracht und
fühlten sich wohl. Vor der Wende waren die Gebäude Erholungsort
volkseigener Betriebe und Ferienlager von zweitweise 1300 jungen Pionieren
mit der damals obligatorischen politischen Schulung und vormilitärischen
Ausbildung. Jetzt ist es eine Stätte der Bildung und Begegnung, die
als pädagogisch-theologisches Zentrum der Zurüstung von Pfarrern
und Religionslehrern dient und Raum für die Evangelische Erwachsenenbildung
und ein Seelsorgeseminar bietet.
Anspruchsvolle Konzerte in Friedrichroda und der wunderschönen Kirche
in Gräfenhain führten die Zuhörer durch die sorgfältige
Auswahl der Werke hinein in das Zentrum christlichen Glaubens. Die 62
Sängerinnen und Sänger wurden damit zum Botschafter des Evangeliums
in einem Land, wo einst die Menschen so ihren Glauben lebten, dass sie
herrliche Gotteshäuser schufen mit Kunstwerken, die frohes Bekennen
und tiefe Frömmigkeit ahnen lassen. Viel davon ist heute in den Menschen
drüben verschüttet, und die Kantorei machte es sich zur Aufgabe,
durch die Mittlerin Musik Jesu Botschaft Zugang finden zu lassen in die
Herzen derer, die gekommen waren. Einen Höhepunkt bildete dabei Peppings
»Nikodemus«, einen anderen die Motette »Hör mein
Bitten« von Felix Mendelssohn, in der Eva Magdalena Ammer mit ihrer
wunderschönen, ausdrucksvollen Stimme den Solopart übernommen
hatte. Was war in der Situation, die angetroffen wurde, angemessener als
diese innig vorgetragene Fürbitte ?
Neben den anspruchsvollen Konzerten, in denen die Nagolder Kantorei mit
Freude und äußerster Konzentration den Intentionen seines Kantors
folgte, gab es noch ein fein abgestimmtes kulturelles Programm. Wie konnte
es auch anders sein in einer Region, in der die Großen der Literatur
und der unübertroffene Meister der Kirchenmusik, Johann Sebastian
Bach, ihre Spuren hinterlassen haben und wo man auf Schritt und Tritt
auf Denkmäler der Geschichte stößt, die dieses Land prägten
und zu einem lohnenswerten Ziel machen. Schmalkalden mit seinem Schloss
und durch die Reformation jedem geschichtlich Interessierten bekannt geworden,
Gotha mit seiner großartigen, im Dreißigjährigen Krieg
begonnenen Fürstenresidenz und vor allem Weimar waren die Stätten,
die bei vielen altes Wissen aufleben ließen oder neues eröffneten.
Das Goethehaus, einen Tag zuvor von dem chinesischen Ministerpräsidenten
Li Peng besucht, war ein Ort, der hineinführte in Zeit, Leben und
Werk des großen Dichters. Elisabeth Horn hatte den Besuch der Stadt
schon während der Fahrt hervorragend vorbereitet.
Dicht bei Weimar befand sich das Konzentrationslager Buchenwald. Der Glanz
und die tiefste Tiefe der deutschen Geschichte liegen dicht beieinander.
Der Hinweis darauf löste Nachdenken und Betroffenheit aus. Einige
fuhren hinaus zur Stätte des Grauens, obwohl die Zeit sehr knapp
war.
Noch einmal seien die Menschen und ihre rührende Gastfreundschaft,
aber auch ihre Erwartungen erwähnt : »Kommt wieder, wir brauchen
euch, und bringt andere mit«, so war es zu hören und in den
Gesichtern zu lesen, mehr noch als beim letzten Besuch.
Konzert in Gräfenhain
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